Hintergrund
Zunehmende sprachliche Heterogenität- nicht nur migrationsbedingte – ist eine Realität, mit der sich immer mehr Gymnasien auseinandersetzen müssen. Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern zeigen während ihrer Grundschulzeit, dass sie kognitiv durchaus in der Lage sind, den Anforderungen des Gymnasiums zu entsprechen. Im Verlauf der Orientierungsstufe stellt sich dann aber heraus, dass die Leistungen eines Teils von ihnen aufgrund sprachlicher Probleme weit hinter den Erwartungen zurück bleiben. Häufig ist es das Potenzial mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler der zweiten und dritten Generation, das ungenutzt bleibt. Die Integration von so genannten Seiteneinsteigern aus Vorbereitungsklassen (VKL) ist eine weitere Aufgabe, der sich auch das Gymnasium stellen muss. Die Vorbereitung zukünftiger Lehrkräfte auf diese schulische Realität ist das vorrangige Ziel der neu konzipierten Zusatzausbildung Deutsch als Zweitsprache. Hinzu kommt die Information über Deutsch als Fremdsprache im Rahmen des Auslandsschuldienstes.
Bundesweite und internationale Studien zur Schulleistung und insbesondere zur Lesekomptenz (PISA, VERA, ...) haben deutlich gezeigt, dass der Bildungserfolg auch in Baden-Württemberg besonders stark vom familiären Hintergrund abhängig ist. Privilegierte Kinder (Bildungsnähe, Muttersprache Deutsch, hoher sozialer Status) erwerben mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit höhere Bildungsabschlüsse als ihre weniger privilegierten Mitschüler. Diese empirischen Befunde spiegeln sich in der schulischen Realität. An manchen Gymnasien müssen bis zum Abitur mehr als 50% eines Jahrgangs die Schule verlassen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass alle diese Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten „für das Gymnasium ungeeignet“ sind. Untersuchungen zeigen entsprechend, dass zu häufig Klassenarbeiten weniger fachliche Kompetenzen als vielmehr sprachliche Fähigkeiten abbilden (Pattersons 2001). Besonders interessant ist, dass wiederholt gezeigt werden konnte, dass die Leistungen im Fach Mathematik durch keinen anderen Faktor so zuverlässig vorausgesagt werden können wie durch den C-Test, einen Test zur Erfassung der allgemeinen Sprachkompetenz (z. B. Prediger 2015). Die Verwaltungsvorschrift „Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf und Behinderungen“ (8.3.1999/22.8.2008) trägt dieser schulischen Realität durch die Forderung nach einem Sprachförderkonzept für alle Schulen Rechnung.
Auch an baden-württembergischen Gymnasien gibt es inzwischen Vorbereitungsklassen (VKL), in denen Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse („Seiteneinsteiger“) auf die Teilnahme am Regelunterricht („Integration“) vorbereitet werden. Vorbereitungsklassen am Gymnasium haben dabei häufig ein spezielles Profil, da hier neben basaler Sprachkompetenz auch die für das Gymnasium besonders wichtige Bildungssprache vermittelt werden muss.
Arbeitsfelder
Eine Sensibilisierung zukünftiger Lehrkräfte für Mehrsprachigkeit und die spezifischen sprachlichen Anforderungen des Gymnasiums ist daher notwendig. Lerner in unterschiedlichen Situationen haben allerdings unterschiedliche Bedürfnisse. Wer in Deutschland geboren wurde und im Vergleich zu den Klassenkameraden ungünstige Sprach-Lernvoraussetzungen hat, braucht andere Förderung als jemand, der als Geflüchteter aus einem Kriegsgebiet kommt oder als Kind einer Universitätsprofessorin aus dem europäischen Ausland. Hinter dem Etikett „Deutsch als Zweitsprache“ verstecken sich daher mehrere, grundsätzlich verschiedene didaktische Kontexte:
- sprachsensibler Fachunterricht/sprachförderlicher Unterricht
- zusätzliche (additive) Fördermaßnahmen (Förderunterricht)
- Vorbereitungsklassen (VKL)
- Integration von Seiteneinsteigern aus Vorbereitungsklassen in die Regelklasse (Sprachförderung im Fach)
In allen diesen Kontexten kann Mehrsprachigkeit eine Ressource sein, die den Spracherwerb bzw. den Erwerb der deutschen Bildungssprache befördert. Seltener sind Probleme, die durch Mehrsprachigkeit entstehen. Erfolg und Misserfolg des Spracherwerbs sind außerdem eng an das Selbstkonzept, die Identität, der Lerner gekoppelt. Darum gehört zu einem professionellen Umgang mit migrationsbedingter sprachlicher Heterogenität auch bewusste Identitätsarbeit. Nicht zuletzt ist schulische Sprachförderung dann erfolgreich, wenn sie eingebunden ist in ein Konzept zur durchgängigen Sprachbildung, das die ganze Schulgemeinschaft trägt.
Die Zusatzausbildung Deutsch als Zweitsprache am SSDL (GYM) ES gewährt Einblicke in all diese Facetten schulischer Sprachförderung. Die Referendarinnen und Referendare bekommen Konzepte und Methoden an die Hand, um in den unterschiedlichen didaktischen Kontexten agieren zu können. Da die Aufgaben jedoch so vielfältig sind wie die individuellen Lerner, kann eine Zusatzausbildung nur Grundlagen legen, Impulse geben und anhand ausgewählter Beispiele exemplarisch vertiefen.
Konzeption
Die Ausbildung beginnt im Januar. Sie hat einen zeitlichen Umfang von 30 Stunden. Darüber hinaus müssen zwei Hospitationen nachgewiesen werden. Die Ausbildung endet im November mit einem Kolloquium. Erfolgreiche Absolventen erhalten eine für alle SSDL (GYM) in Baden-Württemberg einheitliche Bescheinigung. Die Anmeldung zur Zusatzausbildung erfolgt über die seminarinterne Plattform (Moodle).
Die 30 Stunden der Ausbildung sind verteilt auf sechs sechs Sitzungen:
- Grundlagen (6 Stunden)
- Kontexte der DaZ-Didaktik mit jeweils einschlägigen Inhalten, Prinzipien und Methoden (3 Sitzungen zu jeweils 6 Stunden)
- Wahlmodule (4 Stunden)
- Reflexion der Hospitationen (2 Stunden)
In der Zeitschrift SEMINAR 4/2018 ist ein innovativer Artikel von Tobias Krämer zur DaZ-Ausbildung am Seminar Esslingen erschienen: