Die Entscheidung für einen unmittelbaren Praxiseinstieg lässt sich nicht nur motivationpsychologisch, sondern auch lerntheoretisch begründen. Keinesfalls fangen Lehrer/innen und Lehrer ihre Ausbildung "bei Null an". Sie sind vielmehr erwachsene Lerner, die im Laufe ihrer Berufsbiografie - und die beginnt im Falle des Lehrerberufs eigentlich mit der Schülerzeit! - eine große Zahl beeindruckender Bilder von gelingendem (und misslingendem) Unterricht gespeichert haben. Diese Bilder haben sich zu subjektiven Theorien verfestigt und ermöglichen oft brauchbare Handlungen ohne besondere Reflexion.
Die Forschung über Lehrerbildung hat zutage gefördert, dass die Annahme, vorab vermittelte Theorie führe zu anschließender Umsetzung in der Praxis, zu den Grundirrtümern über Professionserwerb zählt.
"Empirische Befunde zeigen, dass Lehrerinnen und Lehrer in erstaunlich geringem Maße auf im Studium erworbenes Theoriewissen zurückgreifen... Eine weitaus größere Rolle scheinen ihre eigenen Erfahrungen zu spielen" (Neuweg 2005, in: SEMINAR Lehrerbildung und Schule, Heft 3 / 05,15).
Dies bedeutet natürlich nicht, dass Theorie überflüssig oder unwirksam wäre, die Wechselwirkung zwischen ihnen ist aber so schwer fassbar, dass zumindest in den letzten Jahren Konzepte intuitiven Handelns und impliziten Wissens in den Blick der Forschung gerückt sind.
"Kompetentes Lehrer/innen/handeln ...vollzieht sich in hohem Maße intuitiv-improvisierend, ...es wird ... weniger durch Pläne als vielmehr durch die sensible Einlassung auf situative und ständig wechselnde Umstände gesteuert." (Neuweg, 16)
Was bedeutet das für die Ausbildung? Eine unmittelbare Begegnung mit Schulpraxis knüpft bei allen Lehramtskandidaten an ihre Erfahrungen und ihr verinnerlichtes Wissen über Unterricht an. Dieses implizite Wissen kann (und muss) durch Reflexion, - d.h. Bewusstwerden, Verbalisieren und Problematisieren - explizit gemacht werden. Leitmotiv dieser Reflexion ist die Verknüpfung der Erfahrungen in der Schulpraxis mit der eigenen Person. Unterstützend für diesen Prozess ist der Austausch mit "Gleichen" also, Mitreferendar/innen in der Gruppe. Wenn sie Vergleiche anstellen, gleiche oder diskrepante Erlebnisse austauschen, Erwägungen anstellen, Hypothesen bilden, Perspektivenwechsel vornehmen oder Alternativen suchen, entstehen angereicherte Vorstellungen von einer bestimmten Unterrichtssituation, die zu vielfältigeren Schemata führen:
"Durch Erfahrungen, die Reflexionen darüber und durch das Erwerben von Kenntnissen über die Einsichten von anderen wird ein Schema reicher." (Tigchelaar, Melief, van Rijswijk, Korthagen, in: SEMINAR Lehrerbildung und Schule, Heft 3 / 05, 40)
Unser Esslinger Modell, das aus der Unzufriedenheit über Theorielastigkeit erwuchs, rückt so in die Nähe der "Realistischen Lehrerbildung" (Korthagen) und hat damit zugleich einen theoretischen Unterbau, von dem aus wir uns für unser Modell noch einiges versprechen.